Balanceakte

Mein Herz sehnt sich danach, weich zu sein und offen und liebend. Mein Ich sehnt sich danach, so sein zu dürfen wie auch immer es gerade ist. Meine Eigenheiten sehnen sich danach, geliebt und angenommen zu werden. Meine inneren Stürme und Dramen sehnen sich nach Frieden und Akzeptanz. Mein Körper sehnt sich nach Umarmungen und Berührungen und mein inneres Kind sehnt sich nach dem Gefühl, absolut sicher zu sein. Meine Haut sehnt sich nach Sonnenstrahlen und Wassertropfen. Ich sehne mich nach Leichtigkeit und Freude und unbeschwertem, lautem Lachen. Meine Füße sehnen sich nach barfuß laufen und nach kühlem, feuchtem Waldboden. Meine Hände sehnen sich danach, einen anderen Menschen zärtlich zu berühren. Mein Geist sehnt sich nach Inspiration und Herausforderung und dem guten Gefühl von gelösten Problemen und neuem Wissen. Meine Seele sehnt sich nach Verbundenheit – mit mir, mit meinem Umfeld, mit dem Universum. Meine Angst, meine Schwäche und meine Bedürftigkeit sehnen sich danach, geschätzt zu werden und da sein zu dürfen. Und meine Stärke sehnt sich danach, laut zu schreien und um mich zu schlagen und einfach mal auf alles zu scheißen.

Irgendwie bin ich heute drauf gekommen, was die wahre Herausforderung am Zurückkommen ist: Mich nicht wieder in diesen ganzen kleinlichen Bullshit hineinziehen zu lassen. Ich habe vergessen Müsli zu kaufen, mein Mechaniker verschiebt ständig meinen Termin und in meiner Küche herrscht eine Ameisenplage. Ich habe 2 kg zugenommen, ständig flattern Rechnungen ins Haus und irgendwie hab ich nie genug Zeit. Jack ist nicht mehr so zuckersüß und hat offensichtlich weniger Zeit und Lust mit mir zu schreiben und meine Augen tränen von meiner Pollenallergie. Ich ertappe mich dabei, über diese Dinge zu sprechen und mich darüber zu beklagen und wie sie meine Stimmung beeinflussen. Morgens auf dem Weg in die Arbeit empfinde ich manchmal Stress, wenn ich (kurz) im Stau stehe – trotz Gleitzeit. Herrgott nochmal, warum denn bitte?! Ich erinnere mich an meine Zeit auf Koh Phangan, wie ich manchmal heimlich dachte, wenn mir Freundinnen von ihren Alltagssorgen erzählten: Was bitte ist daran so wichtig? Warum macht ihr euch darüber solche Sorgen? Inwiefern ist das WIRKLICH relevant für euer Leben und euer Glück? Na und jetzt kann ich mir mal selbst diesbezüglich einen Klaps auf den Hinterkopf geben. Sicher ist es gut, wenn ich mich um manche dieser Dinge kümmere – bevor die Ameisen mir mein Essen aus der Küche tragen, haha. Sicher ist es legitim, manchmal zu schnaufen und zu seufzen ob all der Widrigkeiten. Aber unterm Strich – na! Ich muss das alles nicht gut finden, aber das heißt auch nicht, dass ich ständig an allem arbeiten oder mich damit belasten muss. Die Welt geht nicht unter, mein Leben geht weiter.
Ich bin gesund, ich habe Menschen, die ich liebe und die mich lieben, ich lebe ein selbstbestimmtes Leben in Wohlstand und Sicherheit, ich habe die Möglichkeit zu wachsen und zu lernen und so vieles zu tun, das ich liebe. Und deshalb darf ich mir auch erlauben, dass ich auf den Rest öfter mal scheiß.

Gleichzeitig kristallisiert sich heraus, dass ich mich an manches hier gar nicht erst wieder gewöhnen möchte. Nö, ich sehe es nicht so, dass das hier das normale Leben ist, in das ich zurückgekehrt bin und in dem ich mich jetzt also so bequem wie nur möglich einrichten sollte. Ich weiß überhaupt nicht, was ein normales Leben sein soll und wer die Deutungshoheit für den Begriff „normal“ hat. Niemand, behaupte ich. Weiß ich ganz genau, wie mein Leben ausschauen soll? Nein. Habe ich trotzdem Ziele? Auf jeden Fall. Vielleicht ist es jetzt also an der Zeit, schön gemütlich auf meine Ziele hin zu driften (Richtung vorgeben, was anstupsen und dann gucken) und dabei so glücklich wie möglich zu sein. Vielleicht ist es gar nicht so gut, mein „Koh Phangan glücklich“ als Maßstab für jetzt zu nehmen. Vielleicht gibt es hier ein anderes Glück, das ich noch ein biiiiissi genauer suchen darf. Dankbar sein, den Lauf des Lebens so nehmen wie er ist, nichts kontrollieren wollen und so. Ja eh. Hätte ich auch vor zwei Monaten so gesagt, haha – sagt sich aber eben deutlich einfacher an einem Strand mit Cocktail in der Hand und jeder Menge knutschen. Hier find ich es schwieriger, auch weil mir die Diskrepanz zwischen damals und heute immer wieder sehr vor Augen geführt wird.

Gestern war wieder so ein Trauer-Tag. Irgendwann im Laufe des Tages bin ich auf dem Büro-Klo gesessen und hab geweint. Es ist nix passiert, nix vorgefallen, gar nix. Ich war einfach traurig darüber, dass meine Reise zu Ende ist, dass ich gerade nicht am anderen Ende der Welt an einem Strand sitzen und mit Christin quatschen kann, dass ich spüre wie sich die Verbindung zwischen Jack und mir verändert mit der Zeit und dass ich nicht weiß, wie all das weitergeht. Ich glaube fest daran, dass das Leben immer noch bessere, schönere, aufregendere, unglaublichere Zeiten bereithält und ich weiß, dass das nicht meine letzte lange Reise war. Ich habe so oft erfahren, dass „immer was Besseres nachkommt“ – im Leben und in Beziehungen. Aber ein Teil von mir glaubt, alles Schöne wäre zu Ende und ein Teil von mir ist einfach traurig, dass eben dieses Schöne auch zu Ende ist. Das ist der Zauber und das Drama dieses großen Glücks: Es kommt nie wieder auf genau die selbe Art, es wird sich niemals so ganz wiederholen. Und weil wir uns nicht so überbordend über etwas freuen können, das wir so noch nicht erlebt haben, wirkt das bereits Erlebte immer größer, besser, toller. Das hab ich neulich in einem Buch gelesen, dass unser Gehirn dazu nicht fähig ist, wirklich daran zu glauben, dass so viel tollere Dinge auf uns warten, weil wir nur auf Erfahrungen referenzieren können. Naja, auch erleichternd irgendwie.

Es war auch keine große Verzweiflung gestern, eher eine ruhige, tiefe Trauer und Ungewissheit. Ich habs dann übrigens mit Jack geteilt und eine eher pragmatische Antwort erhalten. Das mit dem Annehmen des Lebens wie es ist und so. Aber er hat Recht und Gleichmut schafft Frieden. Gleichmut am Strand ist leichter als im Büro – obviously.
Heute ist wieder mehr die Angst da, aber auch mein Wille, glücklich zu sein und meinen Fokus darauf zu richten. Irgendwie hab ich kurzfristig für heute abend einen Startplatz beim poetry slam bekommen und bin jetzt schon sau-nervös. Dabei geht’s um gar nichts!!!
Ich frag mich ein bisschen, ob Jack und ich die kommenden vier Wochen auch noch packen, ohne uns komplett zu entfremden – was ich schlimm fände.
Gleichzeitig arbeite ich seit einer Weile an meiner emotionalen Abhängigkeit. Uuuuhhh, krasses Wort, klingt wie eine Diagnose und das ultimative Versagen auf vielen Ebenen. Naja, eigentlich ist es eher etwas, das mich schon mein Leben lang begleitet und dem ich jetzt mal auf der Spur bin. Es ist ganz schön zach und manchmal nervig, aber das ist auch der Grund, warum ich wirklich wirklich daran arbeiten will. Ich will nicht, dass sowas so viel Macht über mich hat. Finde es aber auch schwierig, etwas total anzunehmen als Teil von mir und gleichzeitig nicht daraus zu agieren. Mich auf glücklich sein und dankbar sein zu konzentrieren und trotzdem alle schwierigen Gefühle komplett zuzulassen. Es geht immer um die Balance, würde Arnijs jetzt sagen. Sowohl als auch, würde Sonja sagen. Dem stimme ich mal zu und balanciere weiter. Zwei Wochen bis meine Schwester heiratet (!!), vier Wochen bis ich endlich wieder in ein Flugzeug steige.

Meine erste Kakao Zeremonie hab ich auch gehalten, das war schön und ich nervös, haha. Nächste Woche dann der erste Tantra Abend, auf den ich mich freu! Oh ahja auf einer Psytrance Party war ich auch und naja – Wels ist nicht Koh Phangan, aber ich hab einige Stunden getanzt. Morgen gibts schon die nächste Gelegenheit 😁

Außerdem hab ich alte Freunde / Bekannte wieder getroffen, was ebenfalls sehr schön war. Und eine neue Freundin ist über recht skurrile Umstände in mein Leben geschneit. Man weiß nie wofür Dinge gut sind 😉

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