Auf den ersten Blick läuft mein Leben derzeit absolut gleich wie vor meiner Entscheidung diese Reise anzutreten, meiner Kündigung und der Buchung meines ersten Flugs. Ich arbeite, gehe meinen Hobbies nach, treffe Freunde, verbringe Zeit mit meiner Familie, lese nebenher Reiseführer. Aber so wenig das manchmal greifbar ist für mich – etwas hat sich trotzdem verändert, und zwar gravierend.
Die Frage „Lohnt sich das noch?“ stelle ich mir nämlich mittlerweile nicht mehr nur bei Anschaffungen. Im Hinblick auf die Tatsache, dass ich bald für eine ganze Weile weg sein werde und somit viele Dinge nicht mehr benötige, hat sich einiges verändert. Wo ich früher teilweise für Kleinigkeiten à la „hätte ich irgendwie gerne“, ständig Geld ausgegeben habe, mir gar nicht so günstige Seminare und Urlaube geleistet habe, ist die Antwort auf die Frage „Lohnt sich das noch?“ mittlerweile fast immer ein klares Nein. Und siehe da, es fehlt mir kaum etwas, es lässt sich auch hervorragend ohne all die kleinen Konsumfreuden glücklich sein. Alles was mir wirklich wichtig ist an Unternehmungen mache ich trotzdem und bin mir dabei bewusst, dass jeder Cent, den ich ausgebe, von meinem Reisebudget abgezogen wird. Das relativiert vieles. Und auch Kleinigkeiten, die ich sonst nicht in Frage stellen würde, haben einen anderen Background. Lohnt es sich noch, den kaputten Wischwassermotor bei meinem Auto zu reparieren, wo selbiges ja ohnehin in wenigen Wochen zum Schrotter geht? (Spoiler: Nein, es lohnt sich natürlich nicht mehr ;-))
Auch was Pläne angeht, ist alles anders. Ich bin jemand, der es liebt Konzerte, Reisen und andere Aktivitäten im Voraus zu planen und dann die Vorfreude auf all das Schöne, das ich vor habe, zu genießen. Auch die nächsten beiden Monate sind bereits fast komplett mit spannenden, schönen und erfüllenden Unternehmungen verplant, auf die ich mich riesig freue. Aber dann ist da ein Cut. Ab August ist mein Kalender leer und das ist etwas absolut Neues für mich. Während meine Freundinnen Konzertbesuche im Herbst, Winterurlaub und Ausflüge planen, bin ich nicht dabei. Und ja, da ist ziemlich viel Wehmut, wenn ich sehe, was ich alles tun könnte, wäre ich weiterhin in meinem normalen Alltag, anstatt am anderen Ende der Welt. Aber die Antwort auf diese Wehmut ist nichts anderes als die Frage nach meinen Prioritäten. Würde ich lieber im Herbst ein Konzert in Wien besuchen und dafür auch über den August hinaus mein altes Leben weiterführen? Und so oft ich mir diese Frage stelle, so oft ist jedes Mal „Nein“ die Antwort.
Am verwirrendsten für mich sind aber die Auswirkungen, die meine bevorstehende Reise auf mein Umfeld hat. Mittlerweile gibt es fast nichts mehr, das mich so wütend macht wie Menschen, die mir gefühlt meine Zeit stehlen. Leere Worte und Versprechungen – Nein! Menschen, die mich immer wieder nur als Option anstatt als Priorität sehen – Nein! Menschen, die mir meine Energie rauben – Nein! Ich glaub ich bin immer noch verständnisvoll und kompromissbereit, aber nicht mehr ständig, um jeden Preis und mit jedem Menschen.
Mich mit mir unbekannten Menschen zu verabreden (aka “dating”) ist irgendwie auch komplizierter geworden. Mit Freundinnen und Familie weiß ich, dass ich eine gute Zeit habe und die möchte ich in den nächsten Wochen auch noch nutzen so gut es geht. Aber bei Fremden bin ich mir oft unsicher, ob mich das wirklich interessiert, ob ich das wirklich will. Im Gegenzug habe ich aber weiterhin das Bedürfnis nach Nähe, nach Körperlichkeit und auch danach, interessante Menschen kennen zu lernen. So stehen sich diese beiden Standpunkte derzeit nicht nur gegenüber, sondern auch ständig im Weg. Und noch etwas spielt – unbewusst – in all das mit hinein: Ich möchte tatsächlich nicht riskieren, so kurz vor meiner Abreise womöglich noch jemanden (zu) nahe an mich heran zu lassen. Wer weiß was passieren würde, würde ich mich in jemanden verlieben und das würde auf Gegenseitigkeit beruhen. Ein Teil von mir befürchtet, dass das all meine Reisepläne gefährden könnte – und dieses Risiko will ich nicht eingehen, weshalb ich für Abstand sorge. Lohnt es sich noch, jemanden an mich heran, in mein Herz zu lassen? Wahrscheinlich ist die Antwort auch hier ein Nein. Und im Gegenzug zu anderen Situationen, in denen ich mir die Frage mit Nein beantworte, macht mich diese traurig. Wo mir nicht gekaufte Konsumgüter und nicht geplante Konzerte in Wahrheit nicht fehlen, ist diese Art von Nähe etwas, das konstant fehlt – und zwar sehr.
Vielleicht finde ich noch einen Mittelweg, vielleicht geht’s darum, das jetzt so auszuhalten.
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