Tanzen entlang des Abgrunds

Ich finde mich immer besser zurecht in meinem Leben, das sich jetzt so klein anfühlt. Ich habe die liebe Lejla getroffen und sie weiß, wie und wo ich mich bald hoffentlich engagieren kann für etwas, das mir wichtig ist. Vorbilder, Gleichgesinnte, starke Frauen und sich dabei dann verletzlich zeigen – so schön und so wichtig. Ab Montag gehe ich zum Kundalini Yoga. Ich tue Dinge, ich kümmere mich um mich, ich mache all das gar nicht so schlecht. Dennoch…

Seit gestern ist Jack auf einer Insel ohne Handyempfang. Drei Tage ohne alles also und es ist wie erwartet. Mal die Hölle auf Erden, weil meine Ängste und Zweifel toben ohne Ende, mal ganz okay, weil ich ja weiß, dass mein Glück nicht von diesem Menschen und schon gar nicht von diesen paar Worten abhängt. Gestern war es zuerst gut, später schwierig. Abends war ich bei der mir sehr lieben Sonja und wir haben in einem kleinen Kreis aus fünf Menschen zusammen losgelassen, geteilt und meditiert. Es hat mir so gut getan, auszusprechen, was gerade in mir vorgeht und anderen zu zu hören. Wie hab ich es vermisst in einer Gruppe achtsamer Menschen zu sein – wirklich mit mehreren. Wir sind alle nicht dazu gemacht, allein durch dieses Leben zu taumeln… So schön war es, zu hören, dass ich – nur durch mein da-sein – anderen Menschen Halt geben kann und dass ich Ruhe ausstrahle, die andere anzieht. Weise würde ich wirken, wurde mir gesagt. Nunja, weise fühl ich mich nicht – eher verwirrt und durchgeschüttelt und wieder einmal ganz am Anfang vieler anstrengender und schmerzhafter Prozesse. Heute morgen war dann anstatt der Angst die Wut da. Wut auf einen Menschen, wegen etwas, von dem ich gar nicht weiß, ob es wahr ist. Es ist schwer, mich selbst so zu erleben und manchmal nervt es mich, weil es so viel meiner Energie beansprucht. Manchmal kann ich es schätzen, als eine Möglichkeit, weiter zu kommen und zu wachsen, manchmal will ich einfach nur, dass es aufhört.

Ich habe heute viel und lang geschrieben. C. hat mir eine sms geschickt und warme Gefühle in meine Herzgegend. Ich konnte wenigstens eine Stunde lang aufmerksam meinem Kollegen lauschen und dabei feststellen, dass ich nicht völlig ahnungslos bin. Ich fühle mich ruhig, auch wenn ich gleichzeitig spüre, dass es tief in mir immer noch köchelt und gärt. Es hat sich nichts daran geändert, dass ich glaube, dass Jack mir nicht die Wahrheit gesagt hat über diese drei Insel-Tage, aber mir ist klar, dass ich das im Moment nicht verifizieren kann und es deshalb keinen Sinn hat, mich damit zu beschäftigen. Ich kann und werde also warten, bis ich wirklich weiß, anstatt zu vermuten. Bis dahin stelle ich mich diesen Dämonen und Abgründen und dann kümmere ich mich wieder um mein Wohlbefinden und das tue ich, solange es nötig ist.
Ich werde mich wieder auf eine poetry slam Bühne stellen nächste Woche und probieren, wie sich das jetzt so anfühlt. Mein Wochenende ist gefüllt mit schönen Dingen und lieben Menschen und Erledigungen. Ich bin stolz, morgens jetzt 10 Minuten Yoga zu machen und was essen angeht immer noch gut auf meinen Körper hören zu können. Schaue ich in den Spiegel, vermisse ich, mich so schön zu sehen wie in den letzten Monaten. Und mir fällt auf, wie wenig wir uns zuhören in unserer Gesellschaft, wie hektisch und stressig alles ist und wie wenig wir uns berühren und das macht mich traurig und vieles fehlt mir.
Immer noch würde ich gern mein Best-of-Indien Video mit den schönsten Bildern zusammenstellen oder mich mit dem Thema Reisevortrag beschäftigen oder Rezepte aus meinen Kochkursen nachkochen, aber ich kann nicht, denn es tut noch zu sehr weh, hinzusehen. Jeder dieser Blicke erinnert mich daran, dass meine große Reise zu Ende ist und was ich alles in der Ferne zurückgelassen habe und das schmerzt. Auch mein Paket aus Indien ist angekommen und das enthält nicht nur Gewürze und Tee und Kleidung, sondern auch bittersüße Erinnerungen. Aber ich schreibe wieder dieser Tage und heute hab ich auch über das Schreiben geschrieben:

Die Sprache, das Schreiben waren immer mein Zufluchtsort und meine Art mich auszudrücken. Gefühle aufzuschreiben, Gedanken festzuhalten macht sie greifbarer und sichtbarer und es ist meine Art, mich ihnen zu stellen, sie mir selbst einzugestehen (manchmal auch anderen) und zu dokumentieren. Wenn ich schreibe, wenn mein Inneres in Sätzen aus mir heraus fließt, staune ich manchmal, erschrecke, lächle, schüttle den Kopf. So also sieht es in mir aus. Es ist mir nicht mehr möglich, mich selbst zu belügen, wenn ich meine Gefühle und Gedanken in Worte fasse – wenn ich schreibe ohne nachzudenken, bleibt nichts als die Wahrheit übrig. Wenn in mir Chaos herrscht und ich verloren bin im Wirrwarr meiner Emotionen und der Geschichten, die mein Geist mir erzählt, dann fügt sich alles in eine seltsame Ordnung, sobald es zu Papier gebracht ist. Wenn es in mir tobt und stürmt und ich verzweifle an mir und der Welt, dann ist Sprache, dann sind Worte immer für mich da. Mit Worten kann ich zeigen, was sich nicht fotografieren lässt, beschreiben, was unsichtbar ist und festhalten, was immer nur für einen Moment existiert. Mit jedem Wort, mit jedem Satz lasse ich das was ich beschreibe auch ein Stück weit los oder es lässt mich los. Denn ich glaube, Schreiben ist nichts anderes, als ein vollständiges mich-ernst-nehmen, ein akzeptieren und wertschätzen all dessen, das ich verschriftliche. Worte auf Papier haben eine andere Wichtigkeit, eine andere Bedeutung, sie sind das was bleibt von flüchtigen Gedanken und Gefühlen. Und alles, dem ich eine solche Bedeutung zumesse, das ich so sehr achte, dass ich mir die Zeit nehme, es aufzuschreiben, muss nicht mehr länger mein Inneres bestimmen. Ich bemerke, wie ich langsam auch die Sprache wiederfinde, die mir entspricht. In den letzten Monaten habe ich in meinem Blog dokumentiert, was ich tue und wie es mir geht. Sehr oft ging es mir sehr gut, und dafür reichen mir stets einfache Worte. Als ich wieder hier ankam, ging es mir so schlecht wie lang nicht mehr – und ich konnte das nur schwer ausdrücken, denn die komplexen, die schwierigen, schmerzhaften Worte waren verschüttet und die Finger haben sich nicht mehr an lange Sätze gewagt, die aber doch notwendig gewesen wären, um die verschnörkelten Gedanken und Gefühle zu beschreiben. Ich wollte Slam Texte schreiben, um wieder auf einer Bühne zu stehen und habe nicht verstanden, warum ich bei all dem Überfluss an Erlebnissen, die ich zu erzählen habe, nicht darüber schreiben konnte. Vor zwei Tagen dann der erste Versuch, einen Teil meines Schmerzes in Worte zu fassen, etwas ungeschickt und ängstlich noch. Gestern plötzlich ein Text wie von selbst, der einen Teil meiner Erfahrungen verarbeitet und siehe da, schon etwas weniger zurückhaltend. Heute habe ich mich getraut und den Schmerz-Text noch einmal sprachlich verändert und angereichert, so dass er nun in allem Leiden auch ein wenig von der Schönheit von Sprache enthält – jedenfalls jene Schönheit, deren ich mächtig bin, sie auszudrücken. Ich schreibe wieder Tagebuch. Seite um Seite schreibe ich mir von der Seele, was mich gefangen hält, leuchte ich mit Worten die Abgründe in mir aus und sehe meinem Schmerz und meinen Unzulänglichkeiten ins Gesicht. Manchmal schreibe ich aus purer Verzweiflung, weil Papier das gerade einzig vorhandene Gegenüber ist und bin wenig später erstaunt über die Ruhe, die sich in mir breit macht, wenn ich so lange geschrieben habe, bis alles gesagt war. Oh ja, auch Pathos ist zurück in meinen Texten und ich mag das. Es ist ein bisschen wie ein erneutes Heimkommen in eine mir vertraute Welt, die auf mich gewartet hat – ein wenig verstaubt und noch ein bisschen unsicher, aber so, wie ich sie kenne. Worte und Sprache sind der Halt in den Abgründen meines Selbst, in den dunklen Räumen meiner Gedanken und im schmerzenden Chaos meiner Gefühle.

One response to “Tanzen entlang des Abgrunds”

  1. Gerhard Rosenberger Avatar
    Gerhard Rosenberger

    …die Entwicklung freut mich… bin gespannt, ob bzw. wie dir Kundaliniyoga (nach Yogi Bhajan?) gefällt, ich komm dadurch in meine Mitte, das wünsch ich dir…Namaste von Gerhard

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