Wir sind alle verrückt

Wir alle hoffen auf die Erfüllung unrealistischer, völlig abgehobener Dinge. Wir träumen davon, dass unsere Fernbeziehung darin mündet, dass wir zusammen ein neues Leben an einem Strand am anderen Ende der Welt anfangen. Wir träumen davon, dass der fuckboy morgen aufwacht und bemerkt, dass er uns doch liebt. Wir träumen davon, dass unsere langjährige Beziehung auf wundersame Weise wieder lebendig, aufregend und leidenschaftlich wird. Wir träumen davon, dass aus dem casual date eine feste Beziehung wird. Wir träumen davon, dass der Typ, den wir gerade erst kennen gelernt haben, der Mann unserer Träume ist und all die Versprechen einlöst, die andere gebrochen haben. Wir träumen von der großen Liebe, von nicht endendem Glück, von Sicherheit und Freiheit und Leidenschaft. Das ist wunderschön und furchtbar dumm.

Es ist wunderschön, weil wir, so lange wir träumen, noch nicht an der Realität zerbrochen sind. Wir haben noch genug Mut diese Luftschlösser zu bauen und sie uns schön einzurichten. Träume geben uns Hoffnung an dunklen Tagen und manchen harten Zeiten einen Sinn. Und gleichzeitig ist es so gefährlich, all das so sehr glauben zu wollen. Wir tolerieren Respektlosigkeit, Gleichgültigkeit, Übergriffigkeit, Druck, Ignoranz, lassen uns hinhalten, warten, hoffen, diskutieren, haben Verständnis und bemühen uns – denn dann wird es ja vielleicht doch wahr. Wir verwenden unsere Energie nicht für das Träumen und auch nicht fürs Leben, sondern dafür, auf die Erfüllung unserer Träume zu warten und alles dafür zu tun, unseren Anteil dazu beizutragen. Dabei vergessen wir, dass keine Anstrengung der Welt etwas daran ändern wird, wie jemand für uns fühlt, wie wichtig wir für jemanden sind oder was jemand bereit ist, für eine Verbindung zu tun. Weder Rückzug noch Drängen, weder Liebesbekundungen noch Streit, weder geheime Pläne noch Lösungen für noch gar nicht vorhandene Probleme ändern etwas, beschleunigen etwas oder helfen in irgendeiner Art und Weise.

Aber das ist das Drama daran: Sobald da ein anderer Mensch in unseren Träumen vorhanden ist, sind wir ausgeliefert. Wir sind hilflos und machtlos und das ist mitunter ein fürchterliches Gefühl. Geduldiges, liebevolles Abwarten und Vertrauen mit sehr viel Würde und Selbstachtung und gesunden Grenzen – das wäre gut. Aber wie schwer ist das, wenn wir uns etwas so sehr wünschen.

Ich sags wies ist: Ich adressiere diesen Text gerade vor allem an mich selbst, denn ich habe gerade absolut keine Ahnung und ich scheitere daran – im Moment fast jeden Tag. Meine Träume, die, in denen nur ich vorkomme, die hab ich im Griff (jaja, das Universum lacht schon). Ich kann mir Excel Tabellen für meine Ersparnisse erstellen, Reiserouten planen und Kurse buchen. Ich kann recherchieren, mich informieren, weiterbilden und Möglichkeiten schaffen. Vieles davon nach dem Motto: Wenn ich a und b addiere, kommt ziemlich sicher c dabei heraus. Aber das andere, das mit dem/n Menschen – da hörts auf. Und alles alles kommt daher. Verlustangst, kein Grundvertrauen, Bedürfnisse nach Sicherheit, sich verbiegen, unnötige Erklärungen und emotionale Eskalationen.

Ich habe gestern darüber nachgedacht, warum immer so viel Drama ist bei mir. Alles hat immer so viel Bedeutung, so viel Pathos, alles fühlt sich intensiv und dramatisch an. Oft schön, manchmal nervig, anstrengend und destruktiv. Tatsächlich war ich schon als Kind so. Jede Blume, jedes tote Tier, jedes Erlebnis, jedes Gefühl – allem habe ich große Bedeutung verliehen, vieles war oft tragischer als andere (erwachsene) Menschen es verstehen konnten. Offenbar ist das also ein Teil von mir. Ich seh schon auch meine Aufgabe, nämlich, mich nicht vom Drama beherrschen zu lassen, es zu managen und vor allem, es mich nicht kaputt machen zu lassen. Aber Oida, das ist so anstrengend oft! Ich muss mich nämlich die 9 Stunden im Büro zusammenreißen, anstatt in den Wald zu gehen und laut zu schreien. Ich muss mich um Dinge kümmern und für Freunde da sein und mich gut ernähren und bewegen und mich weiterbilden und genug Schlafen und all das ist schon mehr als genug für wenn es mir gut geht. Ich will hier nicht jammern, ich habe (auch jetzt) so viel Wunderschönes in meinem Leben und ich finde, ich schlag mich gut. Aber wenn ich mich dabei ertappe, dass ich innerlich den Kopf darüber schüttele, was mir eine Freundin über ihre heimlichen Träume erzählt, dann merke ich wieder, wie ich ganz genauso bin und dass wir irgendwie alle verrückt sind. Vielleicht ist das auch gar nicht so schlimm und immer noch besser, als alles aufzugeben. Ich habe ernsthaft keine Ahnung.

Und ansonsten weiß ich noch nicht was ich tu mit dem Drama. Jetzt erstmal versuchen, eine Pause im Außen einzulegen mit den Triggern. Das innere Drama schert sich darum aber noch nicht so viel, das zappelt noch ganz gehörig herum.
So sarkastisch dieser Text vielleicht klingt, ich bin übrigens immer noch eine große Verfechterin von Träumen – am besten die ganz großen. Ich frag mich nur, wo die Grenze ist, an der man sich selbst für seine Träume aufgibt und woran man erkennt, dass man die Grenze erreicht hat und wie man die Grenze ziehen muss und was das Richtige ist und wie das mit diesem Leben geht und überhaupt. Wenn hier jemand das Gefühl hat, es verstanden zu haben – bitte melden…

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